Mein Bondage  ·  Kindheit und Jugend  ·  Gefangen in der DDR  ·  Lebensmitte  ·  Betrachtungen im Alter

                                                                                                                                                   (in Vorbereitung)

 

 

 

Wann und wie Bondage mir vertraut wurde

 

Isidoro Bianchi di Campione · Allegorie von Liebe und Weisheit · 2. Hälfte 17. Jhdt.

      Vielleicht war ich schon im Körper meiner Mutter von der Nabelschnur fasziniert, denn Schnüre wurden früh Teil meiner Existenz. Als Sechsjähriger begann ich, meine Hände in die Schnur der Jalousie zu wickeln. Es war ein köstlich erregendes tägliches Spiel nach der Schule während des obligatorischen Mittagsschlafs. Irgendwann, als ich die Schnur zu stramm anzog, löste sich die Jalousie aus ihrer Verankerung. Bei dem Geräusch eilte meine Mutter herbei. Schnell war die Jalousie wieder an ihrem Platz. Im Halbdunkel erinnerte mich ein vitaler Rohrstock schmerzhaft daran, was Mittagsschlaf bedeutet: ausruhen – nicht herumzappeln!

     Im Alter von zehn Jahren war ich bereits so geschickt darin, meine Hände auf dem Rücken zu fesseln, daß es mir fast unmöglich wurde, mich zu befreien. Meine Schwester hatte keine Geduld, die Knoten zu lösen. Sie schnitt mich los. Ich gab oft mein ganzes Taschengeld für Schnur aus.

     Obwohl ich mich an der Vergangenheit erfreue und stoisch in die Zukunft blicke, bin ich in der Gegenwart verankert und lebe in mehreren Welten. Laut Leibniz stellt sich jede von ihnen immer als die bestmögliche dar. In lustgetriebenen Zeiten wage ich die Vermutung, daß er seinen eigenen Lebensstil in diese universelle Betrachtung mit einbezogen haben könnte.

 

     Dazu könnten natürlich auch Fesselspiele gehört haben. Voltaire, der die Theorie des Bestmöglichen verspottete, halte ich für den lebenslustigeren der beiden Philosophen. Ich traue ihm durchaus zu, mit Schnüren und Seilen vertraut gewesen zu sein. Denn sein Held Candide, der jede gute Idee ad absurdum führt, wird von Wilden gefesselt, fast aufgefressen und bekommt den Hintern versohlt, während sein Freund Pangloss am Hals aufgehängt wird.

     Während meiner Ausbildung zum Buchhändler stieß ich bald auf die literarische Geschichte, die freimütig und detailliert beschreibt, wie ein Mann auf eigenen Wunsch von einer Frau gefesselt und ausgepeitscht wird. Leopold von Sacher-Masoch hat, stark inspiriert durch sein reales Leben, mit dem Roman Venus im Pelz (1870) den Begriff des Sadomasochismus begründet. Das führte unweigerlich zu den großen Psychologen Ferenczi, Freud, Adler und C. G. Jung, die zu studieren damals in fortschrittlichen Kreisen geradezu Pflicht war. Abgesehen von den grundlegenden Informationen und Theorien über normabweichendes Verhalten, warf mich das auf meine bescheidenen Aktivitäten mit Selbstfesselung zurück, da mir ein Mitspieler fehlte. Aber mit Bezug auf meine eigene Erotik und Sexualität, die offensichtlich etwas mit dem Fesseln zu tun hatte, lernte ich viel aus Alfred Kinseys Werk Sexual behaviour in the human male (1948).

 

     Als ich die deutsche Heimat wegen eines attraktiven Jobs verließ, lernte ich bald die Frau meines Lebens kennen, meine geliebte Sabine. Sie hatte ebenfalls den Buchhandel erlernt und aufgrund ihrer Begabung das Fach Kunsthandel resolut hinzugenommen. Jeglicher Gedanke, von ihr gefesselt zu werden oder gar sie zu verschnüren, wurde durch unsere gemeinsamen, weitreichenden Interessen völlig verdrängt. Zumal ich zu zweifeln begann, ob es sich dabei um einen Faden vitalen Begehrens handelte, wie ich in jugendlicher Verwirrung der Gefühle angenommen hatte, oder um Relikte romantisch idealisierter kindlicher Räuber- und Gendarm-Spiele.

     Im Ibiza der Hippie-Ära hinterließ mir ein weitgereister Freak ein zweisprachiges japanisch-englisches Büchlein über die Samurai-Kunst des Hojojutsu. Die Zeichnungen, die offensichtlich von Künstlern der damaligen Zeit stammen, zeigen Gefangene, die so grausam gefesselt sind, daß ein unbeteiligter Betrachter es unwillkürlich mitleidig betrachtet. Andererseits verdeutlichen sie das Erleiden raffinierter Fesseln, die die körperliche Beweglichkeit buchstäblich zu ersticken scheinen. Vieles an der Seiltechnik ist mir zu kompliziert, und manches halte ich für gesundheitsschädigend. Aber die Grundmuster spornten mich an, solidere Selbstfesselungen zu erarbeiten als die bisher praktizierten. Als Nebenprodukt entstanden einfache, ästhetische Bildserien in einer Art fotografischen Protokolls.

     Uke und Tori* stehen sich im Kampf gegenüber und sind doch friedlich in derselben Person vereint. Die Fotos wurden im Herbst 1978 unter dem Thema Secret Lives in Ibiza-Stadt in der Galerie gleichen Namens ausgestellt, der gut zu meiner Sammlung paßt. Die stark narzißtischen Bilder auf schwarz-weißem und farbigem 35-mm-Filmmaterial wurden 2007 digitalisiert und veröffentlicht und flimmern seither durch das Internet. Sie werden oft kopiert und tummeln sich nun fröhlich in vielen erotisch gefärbten Ecken des World Wide Web.

 

     In dieser stark mediterran geprägten Lebensphase entdeckte ich meine Empfänglichkeit für den entspannenden Charakter sehr einfacher Fesseln, die in Zeiten extremer Anspannung halfen, Streß abzubauen. Auf den Balearen hatten wir Wald mit Kiefernstämmen aller Stärken nicht weit von der Haustür entfernt. Ich setzte mich auf den weich bemoosten Boden, legte meine Arme rückwärts um einen Baum und legte mir Handschellen an. Derart gezwungen, innezuhalten und auszuruhen, löste sich so manches Problem, das im Laufe beruflicher Arbeit aufgetaucht war, bei sorgfältigem Nachdenken wie von selbst. Sabine brachte mir nach ein oder zwei Stunden den Schlüssel. Verplauderte sie sich aber irgendwo bei einem Glas Wein, saß ich so manches Mal verdammt lange fest.

        Seit Menschengedenken gibt es Seile aus Pflanzenfasern und Riemen aus Leder, die dazu dienen, etwas fest und dauerhaft zusammenzubinden, wobei die menschlichen Glieder keine Ausnahme bilden. Insofern haben sicherlich schon assyrische Knaben die Materialien spielerisch genutzt und sich damit gegenseitig gefesselt, das heidnische Vergnügen des Fängers mit dem überwältigten Opfer. Es gibt in Stein gemeißelte und auf Papyrus gezeichnete Bilder davon. Wir wissen jedoch nicht, ob die Fesselung neben ihrer kriegerischen Anwendung auch ein sportlicher Zeitvertreib war wie heute in den Trainingshallen von Kampfkünsten, noch ist überliefert, ob der Wirkung der Fesselung auf Körper und Geist schon damals etwas Rätselhaftes anhaftete, ein unerklärliches, erotisch gefärbtes Mysterium, unerklärlich wie das Leben selbst.

* In den Kampfkünsten wird Tori als Angreifer, Uke als Verteidiger bezeichnet. Dementsprechend wechseln im fließenden Geschehen eines Kampfes die Rollen ständig. Im Bondage sind die Positionen des aktiven und passiven Spielers in einem auf Unterwerfung abzielenden Geschehen meistens statisch vorgegeben.

 

 

© Harald Bergander · 2022

 

 

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