Mein Bondage  ·  Kindheit und Jugend  ·  Gefangen in der DDR  ·  Lebensmitte  ·  Betrachtungen im Alter

                                                                                                                                                   (in Vorbereitung)

 

 

 Mittlere Jahre

Kampfkünste und Bondage zwischen Uke und Tori *

~ Jean-Yves gewidmet ~

      

     Während meiner Lehre als Buchhändler gab es noch ab und zu Spiele mit Hans-Rainer – für mich stets mit Uke-Status. Wahrscheinlich wollte er vermeiden, daß ich als Tori an ihm herumfummelte, wenn er wehrlos war. Vielleicht hätte ich das irgendwann sogar gemacht, aber ich hatte mich schon bei verschiedenen Jungs bezüglich der Dimensionen ihrer sexuellen Anhängsel erschöpfend informiert. Mit dem beruhigenden Ergebnis, bei uns allen nahezu gleich große Teile vorgefunden zu haben.

* Im Kampfsport ist Tori der Angreifer, Uke der Verteidiger. Im Laufe eines Matches passiert es natürlich, daß die Kämpfer ständig die Rollen wechseln. Bei Fesselspielen sind dominanter und unterwürfiger Partner per se unveränderlich und jederzeit klar unterscheidbar.

       

     Hans-Rainer heiratete ein paar Tage nach meinem Buchhändler-Examen. Während des anschließenden Praktikums begann für mich eine lange Durststrecke in Sachen Bondage, abgesehen davon, daß ich mich gelegentlich in Ketten legte. Dabei kam mir die Idee eines elektromechanischen Schlüsselhalters. Der Stundenzeiger eines Weckers würde einen Kontakt über der Zwölf schließen, womit ein Relais den Stromfluß zur Magnetspule, an der die Schlüssel hängen, unterbricht, so daß sie neben mir herunterfallen. Der elektrische Teil mit einer Kohle-Zink-Batterie von 4,5 Volt funktionierte auf Anhieb, aber der Kontakt, den der Minutenzeiger schließen sollte, ließ sich nicht fehlerfrei realisieren. Es war möglich, daß der Zeiger untätig vorbeistrich und ich über die eingestellte Zeit hinaus eine weitere Stunde in Fesseln verbringen mußte oder sogar solange, bis die Energie der Batterie erschöpft war.

 

     1968 vermittelte mir ein Kollege die Beziehung zu einer Buchhandlung in Madrid. Als die Chefin mich anrief und fragte, wann ich anfangen könne, ließ ich mir das nicht zweimal sagen. Die fremde Kultur nahm alle meine Kräfte in Anspruch. Ich vergaß für eine Weile aufs Fesseln, abgesehen davon, daß die kastilische Hochfläche meine Sinne auf andere Art gefangennahm.

 

     James Micheners Kultbuch Iberia (1968) mit den berühmten Schwarzweißfotos von Robert Vavra wurde zu meinem Reiseführer, der mich an freien Tagen mit der Bahn durchs Land führte: zu El Greco nach Toledo, zur Heiligen Teresa nach Ávila, in Unamunos Salamanca und Ernest Hemingways Pamplona. Dort reizten mich weniger die Stierkämpfe als vielmehr ein Abstecher ins atlantische San Sebastián am Golf von Biskaya, der für schlechtes Wetter mit heftigen Stürmen bekannt ist. Da ich eingeschlafen und meine Fahrkarte abgelaufen war, forderte mich die Polizei in Irún an der Grenze zu Frankreich überraschenderweise mit großer Nachsicht zum Aussteigen auf. Der Zug zurück nach San Sebastián fuhr eine Stunde später. Also schlenderte ich durch das Städtchen und traute dann meinen Augen nicht: Im Schaufenster eines Waffenladens räkelte sich ein Paar Handschellen wie massiv geformter Silberschmuck.

     Offenbar gehörte martialische Ausrüstung zum Alltag der Basken, die auf beiden Seiten der französisch-spanischen Grenze im Clinch mit der separatistischen ETA lagen. Der Händler begnügte sich mit einem Blick in meinen Paß und kassierte die 240 Peseten, die auf dem Preisschild standen, ohne den gelegentlich üblichen Aufschlag für Ausländer. Dann klärte er mich auf, daß die Handschellen natürlich nur in meinem Heimatland verwendet werden dürften. In Spanien sei der Besitz von Handschellen für Zivilisten verboten.

     Ein langgehegter Wunsch war in Erfüllung gegangen. Die Handschellen und ich wurden auf Anhieb Freunde. Ihre richtungsweisende Aufschrift LLAMA (Flamme, Leidenschaft) spornte mich gleich am nächsten freien Tag, einem Mittwoch, zu einem erprobenden Spiel an. Ich fuhr mit dem Zug nach Robledo, einem kleinen Ort in der Sierra de Ávila mit klarer, frischer Bergluft auf 900 Metern Höhe. Im Dorf stärkte ich mich mit einem Kaffee und wanderte etwa eine Stunde lang gemütlich bergauf durch die dicht bewaldete, recht einsame Landschaft. An einer Stelle mit Blick ins Tal fand ich im niedrigen Gebüsch bald einen geeigneten Baum. Zur Begrüßung ließ er einen Pinienzapfen fallen.

     Ich steckte die beiden Schlüssel auf zwei Astspitzen eines Busches, der den Baum umgab und auch gefesselt ohne Verrenkungen erreicht werden konnte. Nachdem ich eine Weile dort gesessen hatte, um zu sehen, ob es bequem genug war, kettete ich meine Hände hinter dem Baumstamm zusammen. Es war ein wunderbares Gefühl, sich mitten in der gewaltigen Natur hilflos zu fühlen, und bald muß ich, müde vom steilen Aufstieg, eingeschlafen sein. Als ich wieder aufwachte, taten mir die Arme von der brüchigen Baumrinde weh. Da war Befreiung angesagt. Aber egal, wie sorgfältig ich den Busch mit meinen Fingern abtastete, die Schlüssel waren verschwunden.

     Ein Schweißausbruch war die Folge. Der Puls schlug dreißig Schläge schneller. Hatte eine Windböe die Schlüssel zu Boden gefegt? Kaum! Es war kein Wind zu spüren. Wahrscheinlich hatte ich sie unbemerkt abgestreift, um den Zweigen zu entkommen, die ständig meine Hände streichelten und kitzelten. Aber auch auf dem Boden waren die Schlüssel nicht zu finden. Also mußte ich um den Baumstamm herumrutschen, um sehen zu können, wo sie hingekommen waren. Und genau das klappte nicht! Meine Arme lagen wie angeklebt am Baum, weil ich die Handschellen zu eng geschlossen hatte. Weit von jeder Ortschaft entfernt, waren Hilferufe zwecklos, und Wanderer waren damals in einsamen Gegenden eigentlich nur an Wochenenden zu erwarten. 

       Erst vor ein paar Jahren habe ich diese lebensbedrohliche Situation zusammen mit weiteren Begebenheiten aus der Jugend zu einem Roman verdichtet. Das Abenteuer in der Sierra de Ávila lehrte mich Respekt vor professionell verwendeten Handschellen. Form und Stärke des Materials sind so beschaffen, daß selbst ein damit gefesselter Herkules beim Kräftemessen den Kürzeren ziehen würde. Jeder waghalsige Versuch könnte zu Verletzungen führen oder sogar die Handgelenke brechen. Insgesamt wurde ich bis ins Mark eindringlich davor gewarnt, solch unüberlegte Aktionen zu wiederholen. Starre Positionen wie eine Fesselung an Bäumen erfordern einen Spielpartner.

     Immerhin wurde meine Technik des Self-Bondage allmählich ausgefeilter. Bei der nächsten Reise nach Irún beschaffte ich mir ein zweites Paar LLAMA. Das Modell paßt auch um die Füße. Mit einer Kette zwischen Hand- und Fußfesseln und einem oder zwei Bügelschlössern ist eine breite Palette von Positionen bis hin zum engen Hogtie möglich. Ich wurde mein eigener Wächter über den Zeitrahmen einer Sitzung. Sobald ich genug hatte, mußte ich auf dem Hintern über den Fußboden robben, um die in einer Ecke des Raumes deponierten Schlüssel zu erreichen. Mit dem Turnbeutel über dem Kopf, dessen Schnürung um den Hals ich mit auf dem Rücken oder an die Füße gefesselten Händen nicht erreichen konnte, verirrte ich mich des öfteren und war dann in Schweiß gebadet, bis ich wieder freikam.

 

     Von Madrid wechselte ich zu einem Unternehmen in Las Palmas auf dem Kanarischen Archipel. Durch die Arbeit lernte ich einen spanischen Schiffsingenieur kennen. Wir diskutierten und verglichen öfters mal abends bei einem Bier unsere Lebensumstände. Mein Vater war meiner Mutter inzwischen gefolgt und ebenfalls viel zu früh gestorben. Roberto war so alt wie meine Eltern und besaß deren lockere Einstellung zu allen Wechselfällen des Lebens. Kein Wunder, daß wir bald Freunde wurden.

     Natürlich zeigte er mir seinen Arbeitsplatz, ein relativ kleines Fährschiff der Compañía Trasmediterránea, das die Route von Las Palmas G.C. in die spanische Westsahara bediente. Ich fragte ihn, ob es dort auch eine Zelle für Randalierer gebe. "In all unseren Kähnen gibt es eine", erklärte er, führte mich etliche Stufen tief in den Bauch des Schiffes hinunter, öffnete eine Stahltür und schob mich in die winzige Kabine. Die Tür schlug zu und ein Riegel klackte. Zehn Minuten später war Roberto wieder da. "Neulich sprachen wir über Handschellen", erinnerte er mich. "Du sagtest, du hättest noch nie welche umgehabt. Ob du mich angelogen hast oder nicht – Randalierer kriegen sie zu spüren." Der Aufenthalt in der stockdunklen Zelle mit den Händen auf dem Rücken dauerte wahrscheinlich etwa eine Stunde. Mir kam es wie eine Ewigkeit vor. Bis auf das ferne Brummen der Lüftungsrotoren herrschte Stille. Was hatte ich Roberto in Bierlaune wohl noch alles anvertraut? Die stählernen Fesseln drückten hart in meine schlanken Gelenke, als würden sie mir eine gemeinsame Zukunft versprechen.

     Roberto brachte mich in Handschellen zurück an Deck. Während er den Schlüssel von der Brücke holte, spottete ein Matrose meines Alters, Seil um meine Hände würde keinen Schlüssel brauchen. Er befühlte meine wenig muskulösen Arme mit grobem Griff und zog ein dünnes Seil aus seiner Hosentasche. "Hey Yeray ...", rief Roberto, "mach dich gefälligst an deine Arbeit! Harry hat heute schon genug abgekriegt." Der Kerl warf mir einen bedauernden Blick zu und verschwand.

 

     Beim nächsten abendlichen Umtrunk schlug der Schiffsingenieur vor, sobald ich ein paar Tage Zeit hätte, die Besatzung auf der Fahrt an die mauretanische Grenze zu begleiten. "Bei den Zwischenstops lernst du El Aaiún und Villa Cisneros kennen, winzige Siedlungen, nur von Meer und Sandwüste umgeben." Wegen beruflicher Verpflichtungen mußte ich zunächst passen, obwohl ich mir nichts sehnlicher wünschte, als über Nacht in die Zelle für Randalierer eingesperrt zu werden. "Ich kann dir übrigens gern die von uns verwendeten Handschellen besorgen. Sie haben ein spezielles Schloß und werden nur an Behörden und Sicherheitsleute verkauft."

     Als er mir die Schachtel ein paar Tage später zusteckte, sagte er, ich würde ihm nichts schulden, er könne den Kauf als berufliches Handwerkszeug verbuchen. Aber er würde sich freuen, wenn ich mal mit Yeray schwimmen gehen könnte. "Der große Junge wohnt noch in einem muffigen Elternhaus, ist allerdings mitten in den Vorbereitungen, um in Deutschland zu arbeiten. Bestimmt erhofft er sich dafür von dir Ratschläge. Außerdem vermute ich, euch beiden ist etwas ganz Besonderes in die Wiege gelegt worden. Schon deswegen solltet ihr euch näher kennenlernen."

    

     Wenige Tage später trafen wir uns. Yeray wollte mit dem Bus zu einer felsigen Bucht bei Agaete fahren. Ich bestand auf der Fahrt mit meiner leichten Honda. Sonst hätten wir von der Bushaltestelle noch ziemlich weit laufen müssen. Da er noch nie Motorrad gefahren war, drehten wir gemächlich ein paar Übungsrunden, die ihn zuversichtlich stimmten, die dreißig Kilometer in den Westen der Insel zu schaffen, wenn er seine Arme um meinen Körper legen dürfte. 

     Zur Wochenmitte war der Strand leer bis auf ein paar alte Männer, die offenbar nach Strandgut Ausschau hielten. Trotzdem wählte ich einen Platz weitab in einem felsigen Abschnitt, wohin uns kaum jemand folgen würde. Ich freute mich unbändig darauf, seit ewigen Zeiten wieder einmal mit Seil Bekanntschaft zu machen.

     "Du bist zuerst dran!" Yeray zog dünne Seile aus seiner Umhängetasche. "Nein, Yeray, du!" Er schüttelte den Kopf und grinste so frech wie auf dem Schiff. "Harry, du warst an Deck schon reif dafür, von mir verarbeitet zu werden. Hier ist kein Roberto, der dich in Schutz nimmt. Machen wir's auf die sanfte Tour, oder soll ich dich niederringen?" Er war schwerer und stärker als ich. Eigensinnig sagte ich: "Möcht' ich doch sehen, ob du mich schaffst." Schon umklammerte er meinen Hals. Den anderen Arm schob er zwischen meine Beine, hob mich an, wobei die Murmeln mit heftigem Schmerz protestierten. Dann warf er mich in den Sand und saß Im Nu auf mir, sorgfältig Hände und Arme verschnürend. Auch die Füße kamen dran. Dann zerrte er mich über den Sand zu den Felsen und lehnte mich an. Die lange Lederhose bekam ich über die ausgestreckten Beine gelegt, das Badetuch über Brust und Schultern. So war nicht zu sehen, was mit mir los war.

     "Ich schwimme ein gutes Stück weit raus. Wird wohl eine halbe Stunde dauern. Deshalb sind wir ja auch hier." "Und wenn mich jemand entführt?" Yeray verdrehte die Augen. "Ich kenne diesen nicht grade paradiesischen Strand seit Jahren. Hier gibt es nur Einheimische, von denen keiner eine Entführung wert wäre. Du bist es höchstwahrscheinlich auch nicht." Er packte mich grob an den Haaren und zwang mich, ihn anzuschauen. "Gefesselt leben wir morbide Wünsche und pathologische Begierden aus. Das birgt eben nun mal Risiken. Okay?" "Okay!" stimmte ich zu, verwirrt über pathologische Begierden. Ich hatte Fesselung immer als etwas Außergewöhnliches betrachtet, aber keineswegs als ins Pathologische abgleitend. Ich dachte, mein Vater hätte es mir gesagt, wenn er überzeugt gewesen wäre, das Interesse an Seilen, Ketten und Handschellen entspränge einem kranken Geist.

     Mit derselben seemännischen Geschicklichkeit im Umgang mit Seil, mit der ich verschnürt worden war, band Yeray mich los. Klatschnaß und lammfromm stand er erwartungsvoll vor mir. Als ich ihn im Schneidersitz Platz nehmen hieß und mir zuerst seine Füße vornahm, bemerkte ich trotz seiner locker sitzenden Badeshorts den steifen Schwanz. "Harry, kümmere dich bitte nicht darum", mahnte er leise. "Ich bin nicht schwul. Aber einer wie du bringt mich trotzdem hoch." Ein Kuß auf die Wange trieb ihm Tränen in die Augen. Das war mir passiert, als die Zwillinge mich zum ersten Mal in der DDR gefesselt hatten und ich vor lauter Freude zu weinen begonnen hatte. Sie entwirrten die Situation, indem sie mir meine kurze Lederhose um den Kopf banden – nun steckte Yerays Kopf in meiner langen Lederhose.

     "Oha!", brummte er dumpf. "Kriege ich genug Luft?" "Klar doch. Erst mit zugebundenem Hosenbein überm Kopf und am Hals ginge dir bald die Puste aus. Nur keine Sorge! In meiner Hose ist noch niemand erstickt." Yeray lachte fröhlich. "Mann, so ein Tag! Meine Birne in deiner Lederhose... Warum haben wir uns nicht schon früher getroffen?"

     Ich ging schwimmen und dachte: Fast zu schön, um wahr zu sein! Als ich zurückkam, hatte Yeray es geschafft, sich meiner Hose zu entledigen. Genau das brachte mich auf die Idee einer Haube mit kleinen Öffnungen vor Mund und Nase, die locker um den Hals geschnallt wird. Ein Stück maßgeschneidertes schwarzes Leder, das für völlige Dunkelheit sorgt und unmöglich vom gefesselten Gefangenen abgestreift werden kann. Beim Abschied umarmten wir uns innig und lange. "Ich hoffe", sagte Yeray, "daß du uns bald begleiten kannst. Ich kümmere mich um dich. Du wirst an einen Mast gebunden. Nach der Sandwüste in El Aaiún siehst du die Wasserwüste. Und nachts die Sternenwüste. Einverstanden?"

John William Waterhouse  ·  Ulysses und die Sirenen  ·  1891

     Zwei Tage später schickte mein Chef mich nach Madrid. Aus den geplanten drei Wochen für das Intermezzo wurden drei Monate. Zurück in Las Palmas erfuhr ich, Roberto sei innerhalb der Trasmediterránea nach Barcelona versetzt worden. Yeray hatte gekündigt und befand sich, soweit man wußte, auf einem Frachter in Richtung Nordeuropa. Es war also zu schön gewesen, um wahr zu werden, daß es mit ihm zumindest gelegentlich im Bondage weitergehen würde.     

    Vielleicht spielte dieser Umstand mit, daß ich der anstrengenden, ermüdenden Arbeit in der Baufirma unter lauter Technikern mehr und mehr überdrüssig wurde. Aber erst ein Brief von Sabine gab den Ausschlag, mich von der Firma zu trennen. Denn sie wollte ihren Job in der Wiener Galerie Junge Generation hinwerfen, zwei oder drei Monate Urlaub machen und sich dann was Neues suchen. So fand die Reise nach Mauretanien und weiter nach Dakar im Senegal doch noch statt, gewissermaßen als Verlobungstrip – inzwischen hatten wir beschlossen, unserer Liebe zueinander den würdigen Rahmen dauerhaften Zusammenlebens zu geben.

     Auf der Weiterfahrt nach dem Anlegen in Villa Cisneros erzählte ich Sabine von meinem Erlebnis mit Yeray, der mich nun an den Mast binden würde. "Hast du deshalb die dünnen Strippen in El Aaiún gekauft? Um dich festzubinden?" "Na ja", stotterte ich, "eigentlich, weil sie genauso fachgerecht handgemacht sind wie die aus der fürstlichen Seilerei in meiner Kindheit. Damals habe ich manchmal mein ganzes Taschengeld für Schnur und Seile ausgegeben." Sabine betrachtete unsere winzige Kajüte mit den beiden Etagenbetten. "Ich kann dich auch an den Mast binden", schlug sie vor. "Aber an Deck läuft pausenlos jemand vorbei. Vielleicht wäre die Bettleiter hier die bessere Wahl...?"

     Sabine hatte mich gelegentlich in Handschellen gesehen. Zu meiner Erklärung, eingesperrt zu werden und Fesseln jeglicher Art hätten eine entspannende Wirkung auf mich, hatte sie genickt, ohne es verbal zu kommentieren. Nun band sie mich nach meiner Anweisung an der Leiter fest. Dann gab sie mir einen Kuß und ging an Deck. Mir war bange im Herzen, hatte ich ihr doch ein Stück mehr von meiner Neigung offenbart. Wobei ungewiß war, ob es unsere Beziehung in Zukunft stören würde. Andererseits war Sabine aus Künstlerkreisen exzentrisches Gebaren gewohnt, worüber sie locker sprach, ohne es je in irgendeiner Richtung zu werten. Denn in Wien gehörten Absonderlichkeiten zum normalen Tagesgespräch. So konnte es sein, sie war gerade dabei, unsere Reisekameraden frisch-fröhlich von meinem Zustand in Kenntnis zu setzen. Als sie mich losbinden kam, lachte sie. "Du hängst da unbeweglich wie eine verdurstende Krabbe! Gerade haben wir den Wendekreis des Krebses überquert, Richtung Süden, und ein Gläschen darauf getrunken. Das solltest du auch tun."

 

     Für einen neuen Lebensmittelpunkt hatten wir Madrid und Lausanne erwogen. Doch immer wieder rückte eine Insel in den Vordergrund – Ibiza. Romanciers wie Lawrence Durrell, Henry Miller und Albert Camus hatten uns gründlich auf das Mittelmeer vorbereitet, und eigentlich wollten wir am liebsten am Meer leben. Schon auf Gran Canaria hatten wir uns an einen bescheidenen Lebensstil gewöhnt, für den die Hippies in den sechziger Jahren Ibiza gewählt hatten. Anfang 1975 fanden wir dort Arbeit, Sabine in einer Kunstgalerie, ich wiederum in einer Immobilienfirma. Diesmal ging es jedoch darum, bereits fertige Objekte in angenehmer kollegialer Atmosphäre an Interessenten aus mehreren Ländern zu verkaufen.

     In dieser stark mediterran geprägten Phase meines Lebens geschah bezüglich Bondage zunächst wenig. Immerhin entdeckte ich den entspannenden Charakter  auch ganz einfacher Fesseln, die mir in Zeiten extremer Anspannung halfen, Streß abzubauen. Auf den Balearen hatten wir Wald mit Kiefernstämmen aller Stärken unweit der Haustür. Ich machte es mir auf dem mit Moos und Gras gepolsterten Boden bequem, schlang meine Arme rückwärts um einen Baumstamm und legte mir Handschellen an. Im erzwungenen Innehalten und Ausruhen konnte manches Problem, das sich bei der beruflichen Arbeit ergeben hatte, gedanklich gelöst werden. Nach ein bis zwei Stunden kam Sabine mit dem Schlüssel. Hatte sie sich aber gerade irgendwo bei einem Glas Wein verplaudert, saß ich so manches Mal verdammt lange fest.

     Inspiriert vom Haschisch-Duft der Hippie-Ära begann ich abseits der beruflichen Tätigkeit ernsthaft zu schreiben und nebenbei zu fotografieren. An der Spitze einer langen Reihe abgelehnter Manuskripte brauchten die Romane mehr als drei Jahrzehnte bis zur Veröffentlichung, die Fotos nur drei Jahre bis zur Vernissage, die unter dem Titel Secret Lives in der gleichnamigen Galerie 1978 in Ibiza-Stadt stattfand. Es sei daran erinnert, daß die mediterrane Insel schon lange vor den siebziger Jahren unter Künstlern aus Europa und Übersee recht beliebt war. Die Umgangsformen waren weit weniger strikt und bürgerlich als auf dem spanischen Festland. Die Behörden drückten selbst bei gewagt exzentrischem Verhalten schon mal beide Augen zu. Nacktheit wurde offiziell nicht geduldet, war jedoch an vielen kleineren Stränden üblich und wurde insbesondere in schwer zugänglichen Buchten nicht verfolgt, solange niemand sich massiv beschwerte. Auch Werke der bildenden Kunst vordringlich erotischen Charakters konnten veröffentlicht werden. Dennoch hatte die Galeristin einen Teil meiner lebensfrohen Darstellungen vorsichtshalber in einem separaten Raum untergebracht, zugänglich nur für ausgewählte Besucher.

     Vielleicht noch ein paar Worte zum Entstehen der Bilder. In meiner Jugend waren  Erlebnisse des Fesselns meist von Zwang begleitet gewesen. Insbesondere beim Körperkräfte erprobenden Rangeln und bei Geländespielen unter Pfadfindern. Bei Einladungen am Wochenende und während der Ferien in die Elternhäuser von Schulkameraden kam es zu subtileren Situationen. Wenn du kein Frosch bist, läßt du dich jetzt fesseln. Solche Szenen zwischen völlig verschieden gepolten Jungs – mein Freund bloß den Stärkeren markierend, während in mir angesichts Schnur und Stricken seltsame Regungen zwischen den Beinen aufmarschierten – meisterte ich gewißlich tapfer und  ließ mit keiner Regung erkennen, wie sehr es mir gefiel. Na? Verschnürt biste aber stumm! Kriegste jetzt wohl doch Schiß, was?

     Wahrscheinlich waren es hauptsächlich die recht singulären Bilder, die mir endlich einen Bondage-Partner bescherten. Bei der Eröffnung der Ausstellung Secret Lives kamen Jean-Yves und ich uns näher. Wir kannten uns schon seit einiger Zeit aus dem Schachklub. Der erfahrene Turnierspieler hatte bald bemerkt, wie ich versuchte, Figuren zu fesseln, ohne auf die Schwächung meiner eigenen Stellung zu achten. Im Schachjargon bedeutet es, die Bewegungsmöglichkeiten angegriffener Figuren stark einzuschränken. Die lange Reihe meiner narzißtisch gefärbten Selbstporträts, die mich oft auf merkwürdige Weise gefesselt zeigen, hatte ihn dazu bewogen, mutig die Initiative zu ergreifen. Auch seine Frau war zur Vernissage gekommen. Danach, bei Mariano, einer Insider-Bar in Eivissas Altstadt, plauderten wir zu viert über die Bilder. Und über uns. Jean-Ives' Frau kannte die spezielle Neigung ihres Mannes, bediente ihn damit allerdings genausowenig wie Sabine mich. Als Jean-Yves laut über ein Schnuppertreffen nachdachte, grinsten die Mädels vergnügt. Bei unserem lockeren Lebensstil im allgemeinen und im besonderen unter dem Aspekt auch moderner Zeiten und der Insel geschuldeter überschäumender Lebensfreude hatten sie absolut nichts gegen solch spezielle Begehren ihrer Lebensgefährten einzuwenden. Als sie uns allein ließen, offenbarte Jean-Yves mir in einem langen nächtlichen Gespräch sein Vergnügen und fast wissenschaftliches Interesse am Bondage. Bei zwei Flaschen Wein aus Kastilien beschlossen wir, unsere exquisiten Neigungen künftig gemeinsam zu kultivieren.   

Das Verhältnis zu Jean-Yves, einem Modedesigner mit Akzent auf Bademode, der vierzehn Jahre älter ist als ich, dauerte ein gutes Jahrzehnt, solide gegründet auf Schach und literarische Interessen. Unsere Mädels wußten inzwischen, daß Fesselspiele fester Bestandteil unserer Vergnügungen waren und gönnten uns die monatlichen Männerabende und -nächte von ganzem Herzen.

     Jean-Yves hatte nichts gegen Handschellen und Ketten, bevorzugte aber Seile. Beim Bondage scheint der Grundsatz zu gelten, daß man nie zu viel Seil haben kann. Doch mit dreißig Metern starker Hanfseile für draußen in Wald und Wiesen und seinen Baumwollseilen von etwa gleicher Länge als weicherem Material für stundenlange Fesselungen im Haus, waren wir immer ausgekommen.

     In Fernost hatte er sich von Bondage-Meistern Muster für einfaches, sicheres Festsetzen mit einem Minimum an Materialaufwand abgeschaut. Vielleicht habe ich das damals selbst schon so gesehen, oder er hatte mich darauf hingewiesen, wie und wann man in einer Position unnötig überfesselt wird. Es markiert deutliche Unterschiede zwischen Shibari und Hojojutsu. Ersteres besticht durch ein Netz harmonisch geknüpfter Seile, die oft doppelt genommen werden und mehrmals um den Körper laufen. Hojojutsu entstammt dem Kriegshandwerk der Samurai und übt sich in Zweckmäßigkeit, die zur Folge hat, daß das dünne Seil, wie man es heute in Martial Arts Darstellungen sieht, vorn um den Hals läuft und die hinter dem Rücken zusammengeschnürten Hände stramm nach oben zwischen die Schulterblätter zieht. Versucht der Gefangene, die Fesselung zu lockern oder gar zu sprengen, drückt er sich unweigerlich selbst die Luft ab. Eigentlich war es bei unseren Übungen, wie im Bild oben, ein No-Go, Seile um den Hals zu legen. Doch in der Hitze des Gefechts, vor allem im Freien, gab es gelegentlich spontan umgesetzte Ideen, bei denen ich mich energisch beruhigen mußte, damit die Beine nicht zu zittern begannen.

     Die Stellung auf dem Bild unten war das, was ich mir zu meinem Geburtstag gewünscht hatte, schon auch ein bißchen abweichend von unseren Spiel- und Vorsichtsregeln. Dies geschah nach einer Reihe Sitzungen, bei denen Vertrauen zueinander mächtig gewachsen war.

     Die Kette lag locker – nicht als Schlinge, die sich hätte enger ziehen können – um den Hals. Jean-Yves wachte über mich, während er auf dem Schachbrett eine Aufgabe mit Matt in drei Zügen zu lösen trachtete. Als ihm das gelungen war, zog er mir sein Geschenk über den Kopf. Ich hatte mich schon gewundert, warum er mich bei unserem letzten Treffen pedantisch genau vermessen hatte. Die Haube war ihm so gelungen, wie ich sie mir vorgestellt hatte, mit schmalen Öffnungen vor Mund und Nase, enganliegend und stockdunkel. Ein stabiler Reißverschluß im dicken Rindsleder ermöglichte schnelles Rein- und Rausschlüpfen.

     Offensichtlich wollte er mich mit einem zusätzlichen Geschenk überraschen, als er die Verbindungskette zwischen Händen und Füßen löste und die Füße am schweren Eichenschrank befestigte. Dann kniete er sich hin, um mir den Hintern zu versohlen. Dabei ignorierte er die Tatsache, daß ich ihm gesagt hatte, das Hinterteil sei ein Tabubereich. Wahrscheinlich hatte er gehofft, ich würde den Rohrstock nicht ganz ablehnen. Schon der erste Schlag brannte wie Feuer. Es wurde eine fiese Behandlung. Aber ich begriff, nach dem bisher gegenseitig ausgeübten Zwang sei es klüger, sein Vorpreschen zu akzeptieren, anstatt kleinlich auf Tabus zu pochen. Als wir ein paar Tage später darüber sprachen, gestand er, ich sei für ihn das ideale Opfer zum Po versohlen. Falls es mir jedoch gänzlich widerstrebe, würde unsere Beziehung dadurch nicht belastet. So wie er mich einschätze, glaube er, der Appetit käme mit dem Essen. Jedenfalls würde er sich ohne Wenn und Aber jederzeit von mir verdreschen lassen, wobei ihm ein schwerer Ledergürtel willkommen wäre.

         Im Laufe der Jahre trafen wir uns einmal im Monat. Ich glaube, das an sich harmlose, aber schmerzhafte Spanking hatte selten gefehlt. Manchmal schaudert mir je nach Gemütszustand noch heute vor der perfiden Wirksamkeit von Schlägen aufs Gesäß. Man kann wohl davon ausgehen, die unmißverständlich klare Sprache goldgelber Rohrstöcke, brauner Haselruten und schwerer Lederriemen werde von jedem Po im Weltall verstanden. Jean-Yves sorgte für einen reibungslosen Ablauf der Prozedur, indem er mich meistens am massiven gußeisernen Rahmen seiner alten Singer-Nähmaschine festband. War sie versenkt, eignete sich der hölzerne Tisch hervorragend als Prügelbank. Es erinnerte ihn an seine Erfahrungen in einem englischen Internat, das er vier Jahre lang besucht hatte. Dort war die Bestrafung mit dem Rohrstock genauso legal, wie sie es noch während meiner Kindheit in deutschen Schulen gewesen war. In den fünfziger Jahren machten Lehrer vom Verdreschen regen Gebrauch, wußten sie sich bei rotzfrechen Kindern anders nicht zu helfen. In knapp sitzenden Hosen war es genauso schmerzhaft wie auf den nackten Arsch. Der zu Hause nicht zu kurz kam. Nicht einmal im Traum hätte ich daran gedacht, dem Rohrstock in mittleren Jahren wieder zu begegnen.

     Jean-Yves hatte es im englischen Internat besonders demütigend empfunden, sich selbst auf dem Prügelbock festbinden zu müssen. Oft gab der Lehrer dem Delinquenten gehörig Zeit, über seine Verfehlungen nachzudenken, bevor er kam und ihm die Hände fesselte oder, in seltenen Fällen, ihm die Begnadigung mitteilte. Für uns beide wurde es, unbequem halb stehend, halb liegend, fast eine Erlösung, sobald Schläge den spielerischen Schlußstrich unter die Verbüßung einer fiktiven Strafe aufgrund fiktiver Verfehlungen zogen. Irgendwann hatte Jean-Yves entdeckt, daß halbgrüne, noch biegsame Schößlinge des Spanischen Schilfs, Arundo donax, auch Riesenschilf genannt, schon mit wenig Kraftaufwand gemein wehtaten. War es endlich vorbei, erinnerte er mich sanft daran, während er den jungen Arundo donax in eine große Bodenvase mit zu anderen Setzlingen stellte: "Was solltest du mich pflichtgemäß fragen, bevor ich dich losbinde, Harry?" "Äh – bitte, Sir, könnte ich noch einen Hieb für unterwegs bekommen, Sir?"

     Jean-Yves kam aus Lothringen, wohin sich deutsche Lederhosen während der Besatzung im Zweiten Weltkrieg verirrt hatten. Er hatte das robuste Kleidungsstück geschätzt und es in den Sommerferien mit Begeisterung als Gegengewicht zur langweiligen englischen Internatskleidung getragen. Daß die kurze Lederhose höchstwahrscheinlich in der Region Elsaß-Lothringen ihren Ursprung hat, wo sie im 19. Jahrhundert bei der Arbeit in der Landwirtschaft verwendet worden war, wußte er nicht. Vom nächsten Besuch bei seinen Eltern kehrte er mit seiner speckigen alten Ledernen zurück – kopfschüttelnd, weil er nicht geglaubt hatte, sie noch aufzufinden. Ohne diese robuste Hülle, so gestand er, hätte er die Behandlung mit dem Gürtel in Zukunft ablehnen müssen. Denn mit jedem anderen Hosenboden, selbst einem aus dickem Baumwollstoff, waren die Schläge schlicht unerträglich.

Hier fehlen weitere Inhalte. Die mit Bleistift geschriebenen Notizbücher aus den 70ern und 80ern sind stellenweise schwer lesbar. Dadurch dürfte die Bearbeitung noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

 


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©  Harald Bergander · 2022

 

 

 

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