LANGE  LEDERHOSEN

Leder hatte mich höchstwahrscheinlich schon in sehr jungen Jahren fasziniert. Egal ob in Form von Riemen, Gürteln oder Taschen. Einmal hatte man mich als Sechsjährigen dabei beobachtet, wie ich, in einem Winkel sitzend, mir die Einkaufstasche meiner Großmutter über den Kopf stülpte. Als Erklärung konnte ich nur stammeln: "Weil sie so gut riecht!" Großmutter verwahrte im Mangeljahr 1950 auf der Rückfahrt von Hannover schwer erkämpfte Einkäufe in eben dieser Tasche, klemmte sie zwischen ihre Füße und hielt die Henkel fest. Vermutlich war sie dann eingenickt. Als sie in Bückeburg ausstieg, hatte sie nur abgeschnittenen Henkel in der Hand. Diesem ersten ledernen Kleidungsstück trauerte ich lange nach. Von einer Hose war es noch weit entfernt, hüllte jedoch wie eine mehrere Nummern zu große Kapuze meinen Kopf in angenehme Dunkelheit, sobald der Reißverschluß eng zugezogen war.

Vom 12. bis 24. Lebensjahr waren kurze Lederhosen wohl mein meistgetragenes Kleidungsstück. Von 24 bis 32 klaffte eine absolut lederlose Lücke. Bis mein Interesse beim Anblick einer bayerischen Kniebund-Trachtenhose wieder erwachte. Wahrscheinlich 1976, spätestens aber im Jahr darauf, setzte ich statt einer kurzen Lederhose meine erste lange auf einer alten Singer zusammen.

Die Maschine hatte schon der Großmutter meiner Frau treu gedient. An mehreren Umzügen innerhalb Salzburgs nahm sie als VIP-Möbelstück teil. Anfang der siebziger Jahre schickten wir sie zum Gesundheits-Check in die Obhut eines tüchtigen Handwerkers. Er stellte die Symmetrie zwischen Unter- und Oberfaden neu ein und versicherte uns, ansonsten sei das Gerät robust genug, um weitere fünfzig Jahre geradezu "singend" zu überstehen. Allerdings war die Zeit für Nähereien großen Umfangs vorbei. Meine Frau und meine Schwiegermutter kauften lieber fertige Blusen, Röcke und Kleider. Kleinere Reparaturen erledigten sie von Hand mit Nähgarn. Nolens volens ging die Singer in Frühpension. Aber nicht lange. Sie erklärte sich bereit, meine Projekte in Angriff zu nehmen.

 

Die vier Teile einer zerschlissenen Levis-Jeans (US-Größe 32 / Länge 36) wurden auf Papier übertragen. Die Schablone diente im Laufe einiger Jahre für den Zuschnitt je einer Hose aus Büffel, Ziege, Pferd (in Weinrot), zwei aus Rind. Krönung meiner Produktion war ein Overall, eigentlich ein Over-nothing, auch aus Rind. Die Lederstärke betrug 1,3 bis 1,5 mm, typisch für Motorradbekleidung. Sämtliche Häute stammen von einem Händler aus der Wiener Bäckerstrasse. Seinerzeit konnte man in Ruhe auswählen, erkenntlich daran, daß der Verkäufer zwischen dem Ausbreiten zweier Felle einen Mokka servierte.

Bei zwei Stürzen mit dem Motorrad schützten die Hosen vor großflächigen Hautabschürfungen. Neben dieser Legitimation, Lederkleidung in der Öffentlichkeit zu tragen, kam von der Rock-Szene mit ihren Interpreten ein harmonisierender Anstoß. Gut erinnerlich ist mir Rod Stewart, der bei vielen Darbietungen seiner Band schwarzes Leder trug, manchmal so hauteng und mit nahezu bauchtänzerisch aufreizenden Schwüngen des Körpers, daß es heute wahrscheinlich anstößig wäre. Glücklicherweise war das Eivissa der Hippiezeit ähnlich permissiv wie das progressive Kalifornien – schwarzes Leder sah man häufig. Der Lehrling in einer Motorradwerkstatt, der alle Vierteljahre meine 75 cc Derbi wartete, trug eine hinreißend zerlöcherte Lederhose. Das Leder war für seine Arbeit mit scharfen Blechen zu dünn. Wir hatten die gleiche Statur. Heute bedauere ich, dem Burschen keine von meinen Hosen geschenkt zu haben.

Leder anzuziehen, bildete ein wichtiges Sujet meiner Fotosammlung SECRET LIVES. Nach meiner Pensionierung hatte ich genügend Muße, die mit feinkörnigem Filmmaterial aufgenommenen Bilder zu digitalisieren. Aus der ursprünglichen Produktion der Lederhosen sind nur die älteste aus Büffel und die zweitälteste aus Rind erhalten geblieben. Neu hinzu kam ein Exemplar aus rotem Polsterleder, 2,5 mm stark, ein im Winter phantastisch warmes Kleidungsstück.

 

Man kann die Wertschätzung für Lederhosen, kurzen wie langen, beispielsweise bei Mitgliedern von Trachtenvereinen erkennen. Getragen werden sie vornehmlich an Sonn- und Festtagen beim Kirchgang oder in Angelegenheiten des Brauchtums. Doch gern auch zu Trinkgelagen am Wochenende, wo Lederhosen besonders in bayerischen und österreichischen Brau- und Bierhäusern als eine Art Uniform ihren Platz behaupten. In letzter Zeit sieht man hoffnungsvolle Ansätze, daß zumindest die knielange Variante der Lederhose auch im Alltag wieder öfters getragen wird. Hingegen hat schwarzglänzendes Leder derzeit keine Zukunft. Selbst Radfahrer und Motorrad-Biker scheinen nun Kleidung aus Kunststoff der ledernen vorzuziehen.

Übrigens ist aus Lederresten so ganz nebenbei Nützliches entstanden: Etuis, Beutel, Ausweis-Hüllen, Schutzüberzüge für elektronische Geräte und, last but not least, eine Meditations-Kapuze, die den Augen völlige Dunkelheit verschafft. Sie ist erzählerisch Statist in den Romanen Diana und Billy und hat auch einen festen Platz in den assoziierten Videos, die in der englischen Version meiner Homepage gelistet sind.